Content Marketing wird über kurz oder lang an Wirksamkeit verlieren. Als Ausweg aus dem Sog massenmedialer Belanglosigkeit wird das Thema Value-Marketing - also Werthaltigkeit im Marketing - diskutiert: wie kann Content echte Werte für den Konsumenten schaffen? Wie können Marketers Werthaltigkeit in ihrer Kommunikation erreichen? Diesen Fragen wollen wir im Folgenden nachgehen.
Jeder, der sich professionell mit Kommunikation beschäftigt, sollte sich die Worte von Benjamin Franklin einrahmen und ins Büro hängen. Und sich jeden Tag aufs Neue fragen: welchen Wert hat das, was ich schreibe? Welchen Wert hat das, was ich tue? Und zwar nicht für mich, sondern für die Menschen, die ich erreichen will. Das gilt besonders für das sogenannte Content-Marketing, das sich auf die Fahnen schreibt, mit Nutzen zu überzeugen, statt mit Phrasen zu überreden.
„Content marketing is a strategic marketing approach focused on creating and distributing valuable, relevant, and consistent content to attract and retain a clearly-defined audience - and, ultimately, to drive profitable customer action.“ – Joe Pulizzi, Founder, Content Marketing Institute
Möglicherweise schreibst du gerade an einem Fachartikel oder an einem Whitepaper, mit dem du potenziellen Kunden etwas Gutes tun willst. Du machst dir viel Arbeit und gibst dein Wissen kostenlos her. Und fragst dich zu Recht: Ist das nicht per se schon dieser Valuable Content von dem in Pulizzi's Definition die Rede ist?
Ein Altruist würde das bejahen. Auch wenn du im Content Marketing in der Regel eher das Prinzip des reziproken Tauschs, Content gegen Aufmerksamkeit oder Kontaktdaten, als echte Selbstlosigkeit vorfindest. Und diesen Deal kennt auch der Konsument, der mit selbstlosen Gefälligkeiten tagtäglich überhäuft wird. Dann verkehrt sich das Gutgemeinte eher ins Gegenteil: Wer den Eindruck hat, einen Fachartikel schon zigfach in ähnlicher Form gelesen zu haben, den beschleicht über kurz oder lang der Verdacht, man wolle ihn mit belanglosen Eitelkeiten ködern.
„The reason we struggle with content marketing is because we haven’t started with 'Why?' Customers don’t care about your vanity metrics. Ask them, 'How can I help?'“ – Kristina Halvorson, CEO and Founder, Brain Traffic
Die Zeiten, in denen ein Unternehmen mit opulenten Gratisinhalten bestechen konnte, sind längst vorbei. Vielleicht gab es diese Zeiten in Anbetracht der multimedialen Reizüberflutung auch nie. Content spielt dennoch eine Schlüsselrolle im modernen Marketing. Und daran wird sich auch nichts ändern, wenn Automaten, Bots und künstliche Intelligenz die Schaltzentralen der Kommunikation übernehmen.
Insofern hat Seth Godin absolut recht, wenn er sagt, dass Content Marketing als einziges Marketing überlebt hat. Allerdings wird dieses Überleben ganz wesentlich davon abhängen, ob es den Verantwortlichen in Unternehmen gelingt, ihren Inhalten die Werthaltigkeit zu geben, die der Inhalts-verwöhnte Konsument von ihnen erwartet. Damit tun sich Unternehmen schwer.
Die Erwartung des Konsumenten ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass er heute aus einer Vielzahl vergleichbarer Angebote im Content-Universum des Internets auswählen kann und selbst entscheidet, welche Inhalte er wann und wo konsumiert. Vielmehr geht der Konsument ein Risiko ein: nämlich Zeit in Inhalte zu investieren, die ihm keinen Wert bieten. Zeit, die er beispielsweise in die Recherche investiert. Aber auch die Auswahl der Inhalte, mit denen er sich eingehender beschäftigen wird, kostet Zeit.
Bei der Suche und Auswahl von Inhalten entstehen dem Konsumenten zeitliche Kosten, die den wahrgenommenen Wert eines Inhalts mindern. Und dies ist nur der Beginn einer stufenweisen Wertminderung, die wir uns als Wasserfall vorstellen können. Dabei fließt von einem möglichen Wert eines Content schrittweise etwas ab, bis am Ende der Wert übrig bleibt, der tatsächlich vom Konsumenten wahrgenommen wird.
Die nächste Stufe der Wertminderung wird mit sogenanntem Gated Content erreicht. Das sind Inhalte, die dazu bestimmt sind, Kontaktdaten von Interessenten im Tausch gegen Content zu generieren. Der Content mag noch so interessant und wertvoll erscheinen, in der Praxis scheuen Konsumenten trotzdem, Kontaktdaten preiszugeben, um an die Inhalte heranzukommen. Denn das Risiko ist hoch, in eine Vertriebsmaschinerie zu geraten und die Kontrolle über die eigenen Daten zu verlieren.
Aus Sicht des Marketings stellt sich daher die berechtigte Frage, ob du dir einen Gefallen damit tust, Adressdaten als Gegenleistung für deine Inhalte zu verlangen. Das Für und Wider von Gated Content diskutiert Rand Fishkin sehr umfassend in seinem Whiteboard Friday.
Hat sich ein Interessent entschieden, für Inhalte seine Kontaktdaten preiszugeben, wird die Werthaltigkeit des Contents auf eine weitere Probe gestellt. Nämlich beim Konsumieren. Auch hier spielt Wirtschaftlichkeit eine entscheidende Rolle: je weniger Zeit der Konsument investieren muss, um sich den Nutzen der Inhalte zu erschließen, desto höher schätzt er den Wert des Contents ein. Hier stellt sich für den Marketer die Frage, wie Content beschaffen sein muss, damit er schnell konsumiert werden kann: Text, Bilder oder Video? Lang oder kurz?
Content Marketing setzt auf Inhalte, die unterstützen, bilden oder unterhalten, statt auf Werbephrasen. Dennoch können es sich Marketers nur selten verkneifen, Werbung in eigener Sache in ihre Inhalte einzubauen. Bei guten Inhalten geschieht dies unverdächtig am Rande, etwa indem Inhalte und Botschaften mit Referenzprojekten und eigenen Erfahrungswerte untermauert werden. Bei „schlechten“ Inhalten wird die Story, die einen Nutzen stiften soll, im Verlauf der Lektüre früher oder später mit vordergründiger Werbung unterbrochen oder gar zerstört.
Vordergründige Werbung vernichtet den Wert von Content. Und mehr: das Gefühl der Enttäuschung kann im Einzelfall so groß sein, dass wir uns über den Anbieter ärgern. Denn er stielt unsere Zeit und missbraucht unser Vertrauen. Etwa, wenn wir im Laufe eines Webinars feststellen, dass es statt der versprochenen Praxistipps nur eine Produktpräsentation gibt. Die Beziehung, die der Content zwischen Anbieter und Konsument aufbauen sollte, ist dann bereits am Ende, bevor sie begonnen hat.
„Marketers need to 'earn' the right to advertise to everyone in this hyper-connected, always on world, where content is currency and customer attention is easily lost at the swipe of a finger or click of a mouse.“ – Dale Lovell, Content & Publishing Director at Ad You Like
Wie wir gesehen haben, gibt es eine Art „natürliche“ Abwertung von Content, den wir oben im Modell des Content-Wert-Wasserfalls dargestellt haben. Wie kannst du aber gegen den Wertverfall vorgehen und sicherstellen, dass der Wert, den du als Anbieter beabsichtigst, auch so beim Konsumenten ankommt? Wir wollen hier auf einige Aspekte eingehen, die wesentlich zur Werterhaltung beitragen.
„Kundenzentrierung“ verkommt leider zunehmend zu einer Floskel, ist aber entscheidend, wenn Marketing wirklich werthaltig sein will. Das ist einfacher gesagt, als getan, denn Unternehmen tun sich in der Regel sehr schwer damit, die Perspektive zu wechseln und Wert aus der Sicht des Konsumenten zu definieren. Grund genug, sich eingehender mit dem unbekannten Wesen des Wunschkunden zu beschäftigen und wesentliche Eigenschaften und Erwartungen in einer Buyer Persona zusammenzutragen.
Lege dein Augenmerk besonders auf Value-Trigger in der Buyer Persona: Das sind Hinweise darauf, wo du im beruflichen oder privaten Bereich der Zielperson ansetzen kannst, um Wert zu schaffen. Inhaltlich können das Pain Points sein, mit denen sich Konsumenten aktuell beschäftigen. Aber auch formal kannst du punkten, wenn du deine Inhalte an das Informationsverhalten der Persona anpasst. Jemand, der wenig Zeit hat, braucht kompakte Informationen, die schnell zu erfassen sind. Jemand, der nicht gerne liest, bevorzugt grafische Inhalte wie Infografiken oder Videos.
Neil Patel hat in seinem „Complete Guide to Understanding Consumer Psychology“ eine Vielzahl von Tipps und Anregungen zusammengetragen, Inhalte so zu gestalten, dass Sie einfach zu konsumieren sind.
Theorie ist in vielen Bereichen wichtig, um ein fachliches Grundverständnis beim Konsumenten zu schaffen. In einer frühen Phase des Kaufprozesses geht es im Content Marketing genau darum. Später, wenn sich ein Interessent auf die Suche nach konkreten Lösungen macht, sollten Inhalte praktischer werden. Etwa indem sie konkrete Anleitungen zur Lösung eines Problems liefern. So wird der Konsument angeregt, aktiv zu werden und den Inhalt praktisch zu nutzen.
Durch das praktische Arbeiten mit Content wird dessen Wert für den Anwender greifbar. Der Konsument erfährt den Wert durch sein eigenes Handeln. Praktische Anleitung können beispielsweise How-To-Listen, Video-Tutorials oder Anwendungsbeispiele liefern, die einfach nachzuvollziehen sind.
In einer Zeit der Informationsüberflutung ergibt es Sinn, Inhalte und Botschaften häufig zu wiederholen, damit sie auch beim Konsumenten ankommen. Dennoch sollte jeder Content, auch wenn er wiederverwertet wird, eine Neuigkeit bieten. Allein schon deshalb, weil die meisten Konsumenten Inhalte mit Neuigkeitswert höher schätzen, als Inhalte, die schon bekannt sind.
Neuigkeitswert schaffst du, indem du aktuelle Themen und Trends im Markt aufgreifst und mundgerecht aufbereitest. Aber auch Themen, die nicht brandneu sind, lassen sich auffrischen, indem du aktuelle Studien, Quellen und Marktdaten einfließen lässt. Die weiterführenden Links am Ende dieses Artikels verweisen beispielsweise alle auf Artikel, die nicht älter als sechs Monate sind.
Wir sind oben bereits der Frage nachgegangen, wie die Form, insbesondere die Länge und Umfang von Content das Wertempfinden von Konsumenten beeinflusst. Mehr ist nicht immer besser. Denn ein umfangreicher Content, der mit viel Fleiß und Aufwand erstellt wurde, wird von einem Konsumenten, der es eilig hat, möglicherweise oberflächlich als wertvoll erachtet. Der volle Wert der Inhalte erschließt sich jedoch leider nicht, weil er sich aus Zeitmangel nicht eingehender damit beschäftigen kann.
Star-Blogger wie Seth Godin gestalten ihre Botschaften und Inhalte vorzugsweise für Nutzer mit wenig Zeit. Andere wie etwa Neil Patel setzen auf umfassende Beiträge von einem gefühlten Scroll-Meter Länge. Der optimale Wert ergibt sich grundsätzlich dann, wenn Umfang und Format des Content optimal zu den Erwartungen und Möglichkeiten des Konsumenten passen.
Da du oft nicht weißt, wo das Optimum liegt, bietet sich die Entwicklung von Content nach dem Lean-Prinzip an: groß denken, schlank starten, wie es die Bloggerin Sacha Chua am Beispiel eines Minimum Viable Post zeigt. Ausgangspunkt ist hier ein Inhalt, der „gut genug“ ist, um mit Konsumenten ins Gespräch zu kommen und Feedback zu erhalten. Dieses Feedback nutzt sie dann, um ihre Inhalte schrittweise weiterzuentwickeln.
Das Prinzip des schrittweisen Entwickeln und Optimieren von Inhalten findet sich auch in den Ideen des Agilen Marketings wieder. Eine schöne Beschreibung findest du im „Agilen Marketing Manifesto“.
Konsumenten legen Wert darauf, dass Inhalte und Botschaften von Unternehmen fachlich fundiert und neutral gehalten sind. Deshalb sollten Marketers ihre Inhalte mit Belegen und neutralen Hintergrund-Informationen anreichern. Dies soll die eigenen Botschaften vom Verdacht des Tendenziösen freistellen. Neben Studien-Ergebnissen und Marktforschung bringen vor allem Zitate von anerkannten Experten das nötige „Beef“ in die Inhalte.
Entscheidend ist, dass Studien und Daten so interpretiert werden, dass sie eigene Thesen und Botschaften nachvollziehbar stützen. Zahlen allein sind wenig aussagekräftig, sondern entfalten ihren Wert erst im Kontext einer klaren Interpretation. Zudem sollten Daten mundgerecht aufbereitet werden. Zum Beispiel in Form von Charts oder Infografiken, sodass sie auf einen Blick erfasst werden können.
Content als Treibstoff des modernen Marketings droht an den gleichen Ursachen zu kollabieren wie klassische Werbung: zu viel von allem, und zu wenig von Wert für den Konsumenten. Wer im heutigen Massenkonsum bestehen will, muss seinen Wertgehalt steigern. Und zwar nicht durch ein Mehr an Content, sondern durch ein Mehr an Feingespür und Offenheit für das, was den Konsumenten wirklich bewegt.
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